So hinterlassen Sie jeden Tag eine riesige Datenspur

Facebook, Google oder Informationsbroker wie Acxiom und Oracle verdienen Milliarden mit ihrem Wissen über uns. Wie genau läuft dieses Geschäft – und: Was wissen die Konzerne alles über uns?

An diesem Freitag beginnt in der datengetriebenen Wirtschaft eine neue Ära. Die europäische Datenschutzgrundverordnung tritt in Kraft und erschüttert ein milliardenschweres Geschäftsmodell: Erst Daten sammeln – und dann mal gucken, wie sie sich vergolden lassen. Werber, die in Zukunft wissen wollen, welche Internetseiten wir aufrufen und was wir uns auf unseren Computern, Tablets und Smartphones ansehen, müssen sich das nun ausdrücklich genehmigen lassen. Ebenso Onlinehändler, die an unserem Geburtstag interessiert sind, obwohl wir nur ein Kleid kaufen. Oder Spiele-App-Betreiber, die neugierig sind auf unsere Adresslisten.

Es ist eine 180-Grad-Wende. Nach der bisherigen „Opt-Out“-Regel durften Unternehmen Nutzer solange im Netz verfolgen, bis diese es ihnen ausdrücklich verboten. Jetzt ist den Firmen das Daten-Tracking solange verboten, bis der Kunde es ihnen ausdrücklich erlaubt. Mehr noch: Die Verordnung stellt auch klar, dass alle erfassten Daten dem Kunden, nicht dem Konzern gehören. Wer will, kann demnächst mit seinem Nutzerprofil von einem Dienstleister zum anderen wechseln. 
                                                                      
Wer verfolgt und vermisst uns bei welcher Gelegenheit? Wer verdient daran? Und was ändert sich nun? Antworten im Tagesprotokoll eines vernetzten Menschen:
6:00 Uhr
Am Puls
gefühlt
Was passiert
Wenn der Wecker klingelt, zeichnet der Fitnesstracker am Arm den plötzlichen Pulsanstieg auf. Die Daten werden online gespeichert. Sie liegen in einem Nutzerprofil beim Gerätehersteller. Der kann sie weiterverarbeiten.
Wer profitiert
Wie gut etwa der Hersteller von Fitnessuhren Fitbit seine Kundschaft kennt, zeigte sich im Januar. Kurz nach einem nächtlichen Erdbeben im kalifornischen Napa Valley publizierte das Unternehmen eine Grafik, wann und wo das Beben wie viele seiner Nutzer aus dem Schlaf gerissen hat. Die Daten seien anonym ausgewertet worden, betont Fitbit. 

Doch kaum ein Anwender ahnt, dass die Anonymität endet, wenn er sein Nutzerkonto bei Fitbit mit Onlinediensten wie etwa Strava koppelt. Das erlaubt Sportlern, ihre Trainings- und Bewegungsprofile mit denen von Freunden zu vergleichen. Doch wer bei den Einstellungen schludert, blendet sie auch in öffentlich sichtbare Onlinekarten ein. Inzwischen ist es ein Leichtes, sich etwa Joggingrouten von US-Soldaten rund um Militärbasen in Afghanistan im Netz anzuschauen.
7:00 Uhr
Scharf
hingehört
Was passiert
Aufstehen und erst mal Kaffee kochen? Wer noch ein paar Minuten im Bett bleiben will, befiehlt dem vernetzten Lautsprecher: „Alexa, schalte Licht und Kaffeemaschine ein!“
Wer profitiert
Der Befehl fügt dem Nutzerkonto bei Amazon nur ein Detail hinzu? Von wegen. Amazon, der die per Alexa zu befehligenden Boxen anbietet, weiß jetzt nicht nur, dass sich in dem eigenen Onlineshop Werbung für Espressokapseln lohnen könnte, sondern übergibt die Informationen auch den Produzenten der sprachgesteuerten Steckdosen und Schalter.

Zum Beispiel an Fibar. Das polnische Unternehmen, einer der großen europäischen Smart-Home-Hersteller, zeichnet das Verhalten seiner Kunden unter anderem auf, um personalisierte Werbung etwa in die Webseite einzublenden, über die man seine Technik im vernetzten Heim steuert. Zwar gibt das Unternehmen weder Namen noch Adressen an seine Werbepartner weiter. Doch das ist in der digital vernetzten Welt auch nicht mehr nötig. 

Die Werber können Fibar-Kunden anhand der IP-Adressen ihrer Internetzugänge identifizieren – und abgleichen, ob sie ihnen bereits Werbung auf anderen Webseiten angezeigt haben. So erhalten die Werber ein immer genaueres Bild von uns – ein Bild, das sie auch Datenbrokern anbieten. Und die fügen unterschiedliche Quellen wie Puzzleteile zusammen und können so selbst aus vielen anonymisierten Daten Stück für Stück Identitäten rekonstruieren.
10:10 Uhr
Genau
protokolliert
Was passiert
Kurz per Handy beim Arzt anrufen, ein paar SMS an Freunde verschicken, ein Chat mit der Familie per WhatsApp: Kommunikation begleitet uns durch den Tag – und hinterlässt viele Spuren.
Wer profitiert
Wer wann mit wem telefoniert oder SMS austauscht, auch das zeichnen Handys auf. Während der Techkonzern Apple keine Nutzerdaten mehr vermarktet, fließen bei Google auch Anruf- und SMS-Listen in den großen Datenpool. Googles mobiles Betriebssystem Android steckt in gut 85 Prozent aller Smartphones. 

Zwar betont der Suchkonzern, keine Informationen mit Dritten zu teilen, anhand derer sich eine einzelne Person identifizieren ließe. Doch innerhalb des Googleversums gibt es unzählige Möglichkeiten, Metadaten zu Geld zu machen. Etwa indem das Unternehmen Freunde und Bekannte anhand der Gesprächsfrequenz erkennt und dem einen bei Suchen im Netz auch bezahlte Anzeigen für Dinge einblendet, die dem anderen gefallen.
12:30 Uhr
Aufwändig
verknüpft
Was passiert
Eine schnelle Suche auf dem Empfehlungsportal liefert Restauranttipps für den Businesslunch.
Wer profitiert
Ratgeber-Apps wie Yelp oder Golocal zeichnen nicht nur auf, was deren Nutzer essen möchten und welches Restaurant sie wählen. Sie können auch den Standort der Suchenden und ihren Weg zum Essen speichern. Sind in der App Bank- oder Kreditkartendaten hinterlegt, protokolliert der Beratungsdienst auch Zahlungen.

Nicht nur Empfehlungsportale, auch Internethändler oder Bezahldienst nutzen Analyseprogramme wie Google-, Facebook- oder Adobe-Analytics, um die Herkunft und das Verhalten ihrer Kunden auszuwerten. Viele beziehen zudem bei Datenbrokern weitere Informationen. Etwa um Betrug bei Bestellungen zu vermeiden oder auch nur um Vorschläge zu personalisieren. Wer häufig Salat kauft, bekommt dann zum Beispiel vermehrt vegane Restaurants empfohlen.

Durch den Abgleich wächst der Datenschatz der Broker. Acxiom etwa wirbt damit, Informationen zu rund 700 Millionen Menschen zu besitzen und 3,7 Milliarden Nutzerprofile für Kunden zu managen. Bis zu 3000 Merkmale schlüsselt das Unternehmen auf: vom Beziehungsstatus über die Religion bis hin zum Kinderwunsch.

Das Unternehmen setzte 2017 rund 880 Millionen Dollar um. Entsprechend sensibel reagieren Aktionäre, wenn der Datenfluss stockt: Als Facebook jüngst externen Firmen den Zugriff auf Daten aus Nutzerprofilen untersagte, stürzte der Aktienkurs von Acxiom zeitweilig um mehr als 30 Prozent ab. Und Europas neue Datenschutzregeln werden das Geschäft nicht erleichtern.
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15:05 Uhr
Teuer 
verkauft
Was passiert
Ein rascher Blick zu Facebook, Twitter & Co. Was wir lesen und welchen Links wir folgen, verrät den Netzwerken, was uns umtreibt. Die schrägsten Kommentare zum ESC, Probleme bei der Bundeswehr oder der Kauf von Unitymedia durch Vodafone? Jedes Detail landet in unseren Interessenprofilen.
Wer profitiert
Nirgendwo machen wir es den Verkäufern unserer Onlineidentitäten so leicht wie bei Internetdiensten, in die wir uns mit unseren Nutzernamen einbuchen. In ihren Accounts bei sozialen Medien wie Facebook bleiben viele Menschen sogar rund um die Uhr eingeloggt.

Das ist höchst lukrativ für die Betreiber der digitalen Netzwerke. Je mehr sie über uns wissen, desto teurer können sie den Platz für Reklamebanner in unserer Facebook-Chronik oder unserem Googlemail-Posteingang an Werbekunden verkaufen. Bisher ist das ein großartiges Geschäft: Facebooks Werbeeinnahmen zum Beispiel wuchsen allein 2017 um 49 Prozent von knapp 27 auf fast 40 Milliarden Dollar.
17:45 Uhr
Aufmerksam 
verfolgt
Was passiert
Der Softwareassistent im Handy kennt unsere Bewegungsdaten der vergangenen Wochen und meldet, dass die S-Bahn nach Hause fünf Minuten Verspätung hat. Kurz darauf protokolliert auch die App des Nahverkehrsunternehmens, dass wir fünf Minuten später aufbrechen. Und nachdem der Zug am Ziel ausrollt, erkennt das Telefon anhand seiner Positionsdaten, des Tempos und des Verlaufs der Strecke, dass sein Besitzer die restliche Strecke nach Hause mit dem Rad unterwegs ist.
Wer profitiert
Selbst wer bewusst die Dienste der großen Internetkonzerne meidet, wer weder Google Maps nutzt, noch sich von Microsofts digitalem Assistenten Cortana an den Aufbruch nach Hause erinnern lässt, legt detaillierte Datenspuren. Denn viele App-Entwickler verwenden kostenlose Softwarepakete, etwa um auszuwerten, wie Nutzer ihre Programme einsetzen. Dafür zahlen sie mit den Daten ihrer Kunden.

Die Plattform Flurry etwa, die zum Online-Portal Yahoo gehört, analysiert nicht nur, wie Verbraucher 940.000 Apps täglich rund zehn Milliarden Mal auf Tablets und Handys verwenden. Flurry ermöglicht es Yahoo und Partnern auch, App-Nutzern Werbung zu schicken, gezielt nach Alter, Geschlecht oder Interessen und sortiert nach Merkmalen wie „Hardcore-Spieler“, „frischgebackene Mutter“ oder „Homosexueller“.
18:30 Uhr
Heimlich
mitgezählt
Was passiert
Auf dem Weg nach Hause noch schnell im Supermarkt eingekauft, mit EC-Karte bezahlt und mit der Kundenkarte ein paar Rabattpunkte gesammelt. Davon profitieren nicht bloß Kunden, sondern – zumindest bisher – auch Kartenbetreiber und Zahlungsdienstleister. Sie erfahren, was wir mögen, wann und wo wir es kaufen.
Wer profitiert
Fast alle Anbieter von Rabatt- und Kundenkarten nutzen sowohl die herkömmlichen Läden als auch das Netz, um den Konsum ihrer Kunden ganz genau zu beobachten. Denn diese Informationen lassen sich vermarkten oder gleich für eigene Verkaufsaktionen nutzen. Bisher zumindest, denn in Zukunft wird das wertvolle Wissen zu einer flüchtigen Ware, weil Europas neues Datenschutzrecht Kunden ermöglicht, mit Informationen wie ihrer Einkaufshistorie oder ihren Suchprofilen von einer Plattform zur anderen umzuziehen.

Wie das technisch im Detail funktionieren soll, daran feilen Europas Datenschützer noch. Klar ist, dass die Nutzer damit erstmals ihre Digitalprofile umfassend selbst als Handelsware anbieten können. Zwar machen es einem Start-ups wie DataCop, Datawallet oder TheGoodData schon heute möglich, ausgewählte Informationen an Datenbroker zu verkaufen. Aber gemessen am Wert einer weitaus umfangreicheren Google-Suchhistorie oder dem präziseren Facebook-Interessenprofil lassen sich bei Start-ups nur Kleckerbeträge erlösen.

„Die neuen EU-Vorschriften machen Daten nun für ihre Besitzer zu handelbaren Gütern, für den sich Preise bilden werden“, glaubt Wettbewerbsexperte Justus Haucap: „Weil das Angebot durch die rigiden Vorschriften schrumpft, werden die Händler irgendwann beginnen, für Nutzerdaten zu bezahlen.“
22:10 Uhr
Exakt 
vermessen
Was passiert
Im vernetzten Haushalt haben heute sogar Zahnbürsten und Waagen einen Internetanschluss. Auch deren Hersteller protokollieren, teils per App, wie gut der Nutzer auf seine Zähne oder seine schlanke Linie achtet – und teilen dieses Wissen.
Wer profitiert
Auch hier gilt in Zukunft die Pflicht zur Datensparsamkeit. Bisher sah das mancher Anbieter eher locker. Procter & Gamble etwa, der Hersteller der Oral-B-Bürste Genius 9000, fing sich im vergangenen Herbst noch einen Rüffel von Verbraucherschützern ein. Die zur Bürste gehörende App hatte nicht bloß die Gerätenummer sowie die Google-Werbe-ID des Handys an Oral-B und Google übermittelt. Sie verriet in manchen Fällen auch, wie oft ihr Besitzer seine Zähne putzt.
Eine Sache von Millisekunden
So kommt Werbung für Turnschuhe auf die Computer von Sportlern
1. Aufruf einer Webseite
Ein Sportler sucht Testberichte über Laufschuhe im Netz. Dabei werden persönliche Daten registriert:
- Anmeldung bei Facebook oder Google
- Art des Gerätes und Browser
- letzte Internetseiten
- letzte gesehene Internetseite
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2. Onlinedienste
Das Infoportal erkennt das Interesse des Sportlers für Turnschuhe. Es bietet Werbeplattformen an, passende Anzeigen auf der Seite einzublenden.
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3. Plattformen
Datenbroker bieten weitere Informationen über die Nutzer:
- Themen
- Zielgruppe
- Region
Diese Daten werden zusammengefasst und auf Auktionsplattformen versteigert.
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4. Datenbroker
Die IP-Adresse verrät dem Broker u.a. den ländlichen Lebensraum. Von Statistikämtern und Kreditauskünften erhält er weitere Informationen. Nun weiß er auch, dass der Sportler dort wohlhabend und zuverlässig ist.
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5. Agenturen
Eine Marketingagentur soll neue Allwetterlaufschuhe bewerben. Sie ersteigert Anzeigenplätze, sobald die Zielgruppe passt. Dem Sportler vom Land zeigt sie Werbebanner einer Offroad-Version des Allwetterschuhs.
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6. Unternehmen
Der Turnschuhhersteller wählt die Zielgruppen. Er beauftragt Agenturen, Werbeplätze zu ersteigern. Je genauer er die Gruppen erreichen will, desto mehr Informationen braucht er und desto mehr muss er dafür zahlen.
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Text: Thomas Kuhn; Produktion: Thomas Stölzel; Illustration: Marion Wagner; The Noun Project (AFY Studio, Chanut in Industries, Gregor Cresnar, Milky, Shastry, Andrew Fortnum, Stanislav Levin); Produziert mit Storyflow
Impressum
24. Mai 2018
© WirtschaftsWoche 2018
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