SHOP DER ZUKUNFT

Big Data weiß schon, was der Kunde will

Kameras an Regalen, die Kunden identifizieren. Spiegel, die Mode-Tipps geben. Etiketten, die binnen Sekunden den Verkaufspreis ändern können. Sensoren, die Laufwege der Kunden erfassen. In der Boutique und dem Kaufhaus der Zukunft ist der Kunde dank Big Data ein guter Bekannter, sobald er über die Türschwelle tritt.

Es ist die Kehrseite der großen Vielfalt im Baumarkt: Wo findet der Kunde einen Mitarbeiter, der ihn zielsicher zu den richtigen Volltonfarben, Kabelbindern oder Maulschlüsseln führt – und ihn kompetent berät? Schon bald könnte diese Aufgabe ein Roboter übernehmen: Ausgestattet mit Sprachmodul und freundlichem Lächeln navigiert er den Kunden zielsicher zur gewünschten Abteilung – und zeigt ihm auf dem Weg gleich noch Video, wie der gewünschte Silikonlöser denn anzuwenden ist. Im Ladengeschäft der Zukunft sorgt die Technik für ein Einkaufserlebnis, wie es die Kunden bislang nicht kennen. Jedenfalls dann, wenn sie bereit sind, etwas über sich zu verraten. Wenn sie Daten preisgeben über ihr Konsumverhalten, ihre Vorlieben, ihre Zahlungsbereitschaft. Wenn sie sich auf Schritt und Tritt beobachten lassen.

Dann wird ihnen die Technik beim Einkaufen künftig nicht nur helfen zu finden, was sie suchen. Dann können die Händler schon im Voraus vorhersagen, was ihr Kunde braucht – und was es ihm wert ist. Und ihm passende Angebote machen

Die folgenden Beispiele beschreiben, wie digitale Technologien den Einkauf im stationären Handel verändern werden.
Was ist der Kunde bereit zu zahlen?
Digitale Preisschilder
Jahrhundertelang fand die Preisfindung auf dem Basar spontan und vor Ort statt. Verhandeln war Standard. Erst im 17. Jahrhundert setzten sich fixe Preise durch, die heute als gedrucktes Etikett der Normalfall sind. Was aber, wenn die vertrauten Etiketten künftig in Echtzeit die Preise anpassen, etwa weil das Wetter gerade die Nachfrage nach Eiscreme oder Regenschirmen steigen lässt?

Mehrfarbige Displays, die – zentral gesteuert und binnen Sekunden – die Preise ändern können, sind bereits heute in vielen Geschäften zu finden. Das sogenannte Yield Management, bei dem sich die Preise je nach Nachfrage ändern, haben Fluglinien und Hotels längst zur hohen Kunst erhoben. Dank digitaler Preisschilder feiert es seinen Siegeszug bald auch am Regal für Nudeln oder Zucker. Allerdings mit einem wichtigen Unterschied zum traditionellen Basar: der Käufer kann den Preis akzeptieren oder nicht. Zu Verhandeln gibt es nichts.
Smartshelfs
Ein Regal ist dazu gedacht herumzustehen? Das war einmal. Ausgestattet mit Sensoren wird das clevere Regal im Supermarkt zum Mitarbeiter des Monats. Die so genannten Smart Shelves behalten in Echtzeit den Warenbestand im Blick, werten aus, was wann und wie häufig von Kunden herausgegriffen wurde – und warnen den Händler rechtzeitig, wenn eine Lücke im Sortiment droht. Die Regale bewerten die Platzierung eines Produktes, raten dem Händler, wie er umsortieren kann, um den Absatz zu steigern – und welche Mengen er voraussichtlich vorrätig haben sollte.

Im Zusammenspiel mit einer App wäre es also denkbar, dass der Kunde auf seinem digitalen Einkaufszettel einen bestimmten Joghurt sucht und das Regal ihn mit Leuchtsignalen auf den Standort hinweist, sobald er sich nähert.
Was will der Kunde?
Digitale Etiketten
Während Supermärkte oder Händler für Elektronikprodukte schon mal täglich Preise anpassen, ist das bei Bekleidungsgeschäften eher selten der Fall. Dennoch ist auch das am Bügel baumelnde Etikett in Zukunft eher digital. Einheitliche Preisänderungen sind somit vielleicht für zeitlich begrenzte Aktionen möglich. Das Unternehmen Ellafashion wirbt zudem damit, dass seine Schilder wiederverwertbar wären und zudem über eine eingebaute Diebstahlsicherung verfügen.
Intelligenter Spiegel
Vielleicht können die so genannten Smart Mirrors nicht sagen, wer die oder der Schönste im Land ist – aber sie sehen sofort, welche Hose oder welcher Schal zum Oberteil passt, das der Kunde in die Umkleidekabine getragen hat. Schon beim Betreten erkennen Sensoren die Teile, die der Kunde zur Anprobe ausgewählt hat. Die Software kann dann aus dem Sortiment passende Ergänzungen anbieten. Die Kommunikation via berührungsempfindlichem Display erlaubt weitere Möglichkeiten. Der smarte Spiegel des Unternehmens Oak Lab etwa lässt es zu, dass sich das Licht in der Kabine anpasst – und dass der Kunde sich mit wenigen Klicks eine andere Kleidergröße bringen lassen kann.

Das Hervorlugen hinter dem Vorhang fällt damit aus. Fehlende Teile vor Ort könnten nach Einloggen als Kunde via Webshop geordert werden. Und natürlich lernt auch das Geschäft, was es den Kunden zusätzlich anbieten und empfehlen kann.
Wo geht der Kunde hin?
Kundenströme
Rot-gelb-grüne Felder legen sich über die Bilder aus dem Supermarkt, fügen sich zu so genannten Heatmaps. Infrarotkameras messen dafür die Körperwärme der Kunden und verfolgen so, wo er entlanggeht, wie lange er wo stehenbleibt – und wo die Kunden vielleicht nie hingehen. Diese Heatmaps lassen sich dabei nicht nur mit Infrarotkameras von oben erstellen, sondern auch mithilfe von Bodenbelägen, in denen Sensoren die Schritte der Kunden aufzeichnen. Anbieter wie Retailflux bieten A/B-Vergleiche an, die dem Ladenbetreiber

helfen, die Regale so aufzustellen, dass die Flächen möglichst effizient ausgenutzt werden – und die Kunden zielsicher zu den margenträchtigen Produkten finden. Und selbst wenn keine Kameras zu sehen sind: Längst können die Märkte Bewegungen und Verhalten ihrer Kunden auch auf anderen Wegen messen. Der Hersteller Wanzl etwa hat Einkaufswagen und -körbe im Programm, die das erledigen.
Gesichtserkennung
Es ist die vermutlich faszinierendste und zugleich verstörendste Entwicklung im Laden der Zukunft: Eine Kamera erfasst das Gesicht des Kunden, ermittelt auf Basis von selbstlernenden Algorithmen nicht nur das Geschlecht und das Alter – sondern anhand der Mimik auch, was den Kunden interessiert, wie er auf ein bestimmtes Produkt reagiert. Haben sie ein Kundenkonto bei einem Geschäft, könnten Kunden daheim die Einkaufsliste zusammenstellen – und sobald sie den Laden dann betreten, erkennt die Technik sie – und stellt die Waren bereit.

Die Technik erkennt dann freilich auch, wenn eine Person beispielsweise als Ladendieb in der Datenbank vermerkt ist – und könnte einen Alarm auslösen. Das amerikanische Unternehmen Facefirst wirbt exakt damit: „Verhindern Sie Gewalt und Ladendiebstähle, bevor sie beginnen“, wirbt das Unternehmen und bietet sogar Musterrechnungen an, was so gespart werden könne. Und die Überlegungen gehen noch weiter: Warum die Kameras nur in Regalen einbauen, wenn die Mitarbeiter sie auch in ihren Brillengestellen tragen könnten?
Wer ist der Kunde?
Loyalty-App
Was früher die Rabattmarke war, heißt heute Loyalty-App. Kundenbindungsprogramme mit Sonderangeboten und Sammelaktionen funktionieren bislang häufig über eine Plastikkarte. Doch längst drängen die Händler damit auch auf die Smartphones – um auf diesem Weg noch mehr Informationen über den Kunden und seine Wünsche zu bekommen. Und damit sich auf den Telefonen der Kunden kein App-Wildwuchs ausbreitet, wollen Anbieter wie das Mannheimer Unternehmen Stocard die verschiedenen Loyalty-Programme in einer App bündeln – von ADAC über Ikea bis Tchibo. Auf Wunsch können die Kunden dann auch per Applewatch an der Kasse ihre Einkäufe registrieren lassen. Schon bald soll auch eine Bezahlfunktion die App ergänzen. Aber warum warten, bis der Kunde im Geschäft ist? Vielleicht kommt er gezielt, wenn ihm die App einer Marke ein auf wenige Stunden begrenztes Sonderangebot vorschlägt – etwa auf die Lieblingshemden, die er schon zwei Mal gekauft hat? Und wenn er denn erstmal im Geschäft ist, findet er vielleicht auch noch ein paar Socken.

Kommunikation beginnt nicht erst beim Kauf. Sie hört einfach gar nicht mehr auf: Mails, Apps, Push-Mitteilungen aufs Smartphone – die Händler bleiben am Kunden dran, so lange, wie er das mitmacht. Ob er der Marke auf Instagram folgt oder sie bei Facebook geliked hat – aus einem Sammelsurium an Kontaktpunkten kann sich, so die Hoffnung des Handels, jener entscheidende ergeben, der zum Kauf verführt.

Zur Datensammlung sind Kundenbindungsprogramme, egal ob als Plastikkarte oder App, die mächtigsten Instrumente des Handels. Zeiten, Mengen, Produktearten – wer fünf Mal pro Woche Tiefkühlpizza kauft, braucht vermutlich keinen Rabatt für neues Kochgeschirr, aber vielleicht Infos zur neuen Grill-Mikrowellenkombi.
Digitale Warensicherung
Wenige Situationen verstören ehrliche Kunden so sehr wie ein lautes Piepgeräusch beim Verlassen des Ladens. Ob sie es wohl sind, die das Warnsignal ausgelöst haben, obwohl sie die Waren in ihrer Tüte selbstverständlich bezahlt haben? Das muss cleverer gehen.

„Loss Prevention“ umschreibt das Ratinger Unternehmen tyco Retail Solutions den Einsatz von RFID-Chips zur Warensicherung – vulgo Diebstahlschutz.

Auch hier spielt Big Data eine wichtige Rolle: Es geht darum, die Bewegung des Produkts im Lager und im Geschäft auszuwerten. Eine Mischung aus Videoüberwachung, Warnsignalen und RFID-Erkennung zeichnet die neueste Generation der Sicherungsetiketten aus, die in ihrer Frühzeit gerade mal in der Lage waren, beim unrechtmäßigen Entfernen Farbe auf das Textil zu verspritzen, um es unbrauchbar zu machen. Die modernsten elektronischen Wächter am Ausgang wie die von Nedap Retail können auch – zwischen Lager und Verkaufsraum positioniert – neue Lieferungen registrieren.
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Redaktion: Thorsten Firlus
Produktion & Gestaltung: Marcel Stahn
Infografik: Konstantin Megas
Titelillustration: Getty Images

Produziert mit Storyflow
Impressum
17. Juni 2018
© WirtschaftsWoche 2018
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