Duales System

Zum Recycling verdammt

Neue Gesetze und die EU-Plastikstrategie erzeugen Druck auf den Handel: Die Supermarktketten müssen recyclingfreundlichere Verpackungen herstellen. Doch es mangelt an Wissen, an Rohstoffen - und an Ideen.

Lidl hat sich viel vorgenommen. Die Supermarktkette wäre gerne Vorreiter beim Thema Plastik. Deshalb gucken sich die Mitarbeiter nun jede einzelne Verpackung in den Supermarktregalen an: Ist sie zu groß? Braucht sie zu viel Material? Und ist sie gut recycelbar? So will Lidl seinen Plastikverbrauch bis 2025 um zwanzig Prozent senken. 
                      
Ein Sinneswandel findet bei den Handelsunternehmen statt. Bis heute wurden Verpackungen vor allem als Schutzmittel betrachtet, und als Marketinginstrument. Nun soll das Umweltbewusstsein entscheiden. Nicht nur bei Lidl, auch die Konkurrenz zieht nach: „Die Themen Verpackungsreduktion und Recyclingfähigkeit stehen ganz oben auf unserer Agenda“, erklärt Konkurrent Aldi Süd. Und auch Rewe teilt mit: „Sämtliche Eigenmarkenverpackungen werden auf den Prüfstand gestellt.“

Die großen Vorsätze haben ihren Grund: Plastik gilt als die Plage des 21. Jahrhunderts – und der Handel als ihr Verursacher. 68 Prozent der Lebensmittel in Deutschland werden in Plastik eingepackt. Zwar sind diese Verpackungen in den vergangenen Jahren immer dünner geworden – die Mengen an Müll aber sanken nicht. Damit ist Deutschland in Wahrheit eher ein Abfall- als ein Recyclingweltmeister.
Wie viel Verpackungsmüll wird in Deutschland recycelt?
36 Prozent
49 Prozent
70 Prozent
Die gesetzliche Quote liegt 2018 noch bei 36 Prozent. Doch diese Zahl wird leicht übertroffen.
Richtig. 2015 wurden in Deutschland rund 49 Prozent des Verpackungsmülls recycelt
Falsch. Von einer Quote von 70 Prozent sind wir weit entfernt. Laut Gesetz muss die Quote bis 2022 aber auf 63 Prozent gesteigert werden.
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Das liegt auch daran, dass sich im Müll keineswegs Geld versteckt. Mit Altplastik können Recycler kaum Geld verdienen. Ihre Granulate werden vielleicht noch zu Blumenkübeln oder Parkbänken weiterverarbeitet, sie landen als Folien auf Äckern oder werden im Bau eingesetzt. Aber nur selten landen sie wieder als Verpackungen im Regal der Supermärkte.

Doch neue Gesetze erzeugen Druck auf den Handel. Die EU-Kommission und auch die Deutsche Regierung haben strenge Vorgaben geschaffen: Schrittweise soll die Recyclingquote für Kunststoffverpackungen steigen, erst auf 58,5 Prozent im kommenden Jahr. Und ab 2022 liegt sie dann bei 63 Prozent. 

So werden die Supermärkte gezwungen, sich mit dem Thema Recycling auseinander zu setzen. Ohne ihre Mitarbeit scheinen die Ziele nicht erreichbar. Hersteller müssen ihre Verpackungen ändern, sie müssen recyclingfreundlicher werden. Vor allem aber müssen sie selbst mehr Altplastik für ihre Produkte verwenden – damit aus der sich immer aufwärts türmenden Müllspirale endlich ein Kreislauf wird. 

Wo wird Altplastik heute am ehesten eingesetzt?
Beim Bau
In der Landwirtschaft
Für Verpackungen
Richtig. 2015 wurden 38 Prozent aller Recyclate beim Bau eingesetzt.
Falsch. Nur rund 10 Prozent der Recyclate wandern in die Landwirtschaft - zum Beispiel als Abdeckfolien für Acker.  
Falsch. Nur rund 25 Prozent der Recyclate werden bisher für Verpackungen verwendet.
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Bryan Borchers öffnet eine Plastiktüte voll mit kleinem Plastikgranulaten und atmet tief durch die Nase ein. „Es riecht“, sagt er, ein bisschen muffig, ein bisschen wie ein Hauch aus einem schlecht gelüfteten Kühlschrank. Das hängt damit zusammen, dass die Granulate einst Plastikfolien für Lebensmittel waren. Sie wurden geschreddert, gewaschen, geschmolzen und neu gepresst – aber ein Hauch des Geruch bleibt. „Wir arbeiten daran“, sagt Borchers. Denn der Geruch ist ein Grund, warum der Handel Recyclate bisher nicht besonders leiden konnte. 

Borchers Chef heißt Michael Wiener, er ist Geschäftsführer des Dualen System Deutschland und damit des Grünen Punktes. Bryan Borchers ist Experte für Altplastik, sogenannte Recyclate. Im Gegenteil zum Großteil der Bevölkerung weiß Borchers wie Altplastik riecht, wie es aussehen kann, wie man es aufarbeitet. Im Gegenteil zum Großteil der Bevölkerung hält Borchers Altplastik aber auch täglich in der Hand. Er ist Verfahrenstechniker beim Grünen Punkt – dem wohl bekanntesten der neun sogenannten Dualen Systeme. 

Die Dualen Systeme sind Dienstleister für den Handel.
Wer Verpackungen in den Verkehr bringt, muss dafür Gebühren an die Dualen Systeme bezahlen. Von dem Geld beauftragen die Systeme die Müllabfuhr, die den Verpackungsmüll in den gelben Tonnen und Säcken beim Verbraucher abholen und schließlich in die Sortieranlagen bringen. Das sortierte Material gehört den Dualen Systemen, sie sind auch dafür zuständig, dass der Verpackungsmüll recycelt wird.

Michael Wiener greift zu einer Flasche, die auf einem Tisch an der Wand des Konferenzraums steht. Es ist eine Spülmittelflasche der Marke Frosch, zu hundert Prozent aus Recyclaten. "Wir sind die Ersten, die eine transparente Flasche aus Recyclaten hergestellt haben", erklärt Wiener mit Stolz. Es ist eine der wenigen Erfolgsgeschichten, die es heute gibt.

Das sei bisher kaum möglich gewesen. Schließlich landen alle Farben in der Sortiermaschine. Der Grüne Punkt arbeitet deshalb an Verfahren, um die hellen und durchsichtigen Altpapier-Teilchen von den Farbigen zu trennen – und so bessere Recyclate herstellen zu können.

Der Handel wartet darauf: Auch Rewe und Penny arbeiten daran, ihre Plastikflaschen für Wasch- und Reinigungsmittel auf Verpackungen umzustellen, die zu 100 Prozent aus Recyclaten bestehen. Bei Aldi Süd seien Badreiniger, Spülmittel und WC-Reiniger seien heute schon komplett aus Altkunststoff, sogenannten Recyclaten. 100 Tonnen Neukunststoff spart Aldi Süd so ein. 

Die Dualen Systeme sollen dem Hersteller beibringen, wie sie bessere Verpackungen designen. Und das auch mit finanziellen Anreizen: Schwer zu recycelnde Verpackungen sollen bald teurer sein als gut zu verwertende Verpackungen. 

Die weiße Farbe wird von den Sortier-maschinen sofort erkannt. Helles Plastik kann man gut wieder einfärben - aus dieser Flasche können auch Plastikteile in anderen Farben entstehen.
Der Deckel ist aus dem gleichen Kunststoff wie die Flasche: Es gibt also kein Problem, wenn er vor der Sortierung nicht getrennt worden ist
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Edeka beispielsweise wirbt fleißig mit Bio-Fruchtjoghurten, deren Becher aus drei Komponenten bestehen: Einer Kartonhülle, einem dünnen Kunststoffbecher und einem dünnen Aludeckel. „So kann die Verpackung besser recycelt werden“, schreibt Edeka.

Gunda Rachut hält einen ähnlichen Joghurtbecher in der Hand, nach und nach trennt sie die einzelnen Bestandteile ab, erst die Papierbanderole, dann den Aludeckel. "Und – ist diese Verpackung gut recycelbar?", fragt sie. Und schüttelt gleich den Kopf. 

Jeder Bestandteil für sich, sagt Rachut, sei gut verwertbar. Doch die Verbraucher trennen die Bestandteile nicht, sie werfen alles zusammen in den gelben Sack. Die Sortieranlage erkenne den Joghurtbecher als Papier, sagt sie.

Gunda Rachut ist Leiterin der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister – und damit sowas wie Deutschlands oberste Recyclingbeauftragte. Die Stiftung ist neu, sie soll sich im Auftrag des Umweltbundesamtes um die Durchsetzung des Verpackungsgesetzes kümmern. Rachut ist damit auch so etwas wie die oberste Schlichterin: Wenn sich Händler und Duale System darüber streiten, was als recycelbar gilt, entscheidet Rachuts Stimme. 
Das Papier ummantelt den Becher und verhindert, dass die Scanner den Becher als Plastik erkennen - er wird in die Papierfraktion einsortiert.
Der Deckel ist aus Alufolie, die nur mit hohem Energieaufwand wieder geschmolzen und recycelt werden kann
Der Deckel ist aus einem anderen Kunststoff als der Becher und müsste vor der Sortierung von dem Becher getrennt werden. 
Doch das Problem ist nicht nur die Qualität der Recyclate. Es ist auch die Verfügbarkeit. Wenn ein Händler seine Verpackung verändert, dann braucht er auch die Sicherheit, dass genügend Material für die Produktion rund ums Jahr zur Verfügung steht.  

Lidl und das Schwesterunternehmen Kaufland gingen deshalb noch einen Schritt weiter: Sie sichern sich die Versorgung mit Altplastik einfach selbst. Dazu hat die Schwarz-Gruppe, der Mutterkonzern von Kaufland und Lidl, gerade erst das Entsorgungsunternehmen Tönsmeier aufgekauft. Zu dem Unternehmen gehören eine Müllabfuhr, aber auch Sortier- und Recyclinganlagen. Dort könnten Lidl und Kaufland bald selbst austesten, welche Recyclate sie für welche Verpackungen benötigen, oder wie viele. 

Dem Verbraucher sollte das gefallen. Die Unternehmensberatung PWC führte jüngst eine Umfrage dazu durch, wer dafür verantwortlich sein sollte, den Verpackungsmüll zu reduzieren. 45 Prozent antworteten: Die Hersteller.
Die dicke Ummantelung verhindert, dass der Scanner in der Sortierung das Material der Flasche erkennt. Eventuell wird die Flasche falsch einsortiert
Das Etikett ist klein, der Sortierer kann das Material der Flasche gut erkennen. Sie wird richtig einsortiert.
Der Deckel ist aus einem anderen Material aus die Flasche. In der Sortierung wird nur das Material der Flasche berücksichtigt, nicht der Deckel.
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Redaktion: Jacqueline Goebel; Grafik und Produktion: Jacqueline Goebel, Marcel Stahn, Gerd Weber; Fotos: Getty Images, Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister; Produziert mit Storyflow
Impressum
25. Juli 2018
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