Dein Auto weiß alles über dich

Schon heute sammeln Autos Unmengen an Daten. Die Hersteller könnten diese an Versicherungen und Werbekonzerne verkaufen – oder dem Staat offenlegen. Noch zögern sie – zumindest meistens.

Die meisten Deutschen gruseln sich davor, dass der Suchmaschinenbetreiber Google zu viel über sie wisse. Als der Konzern einst seine Kamerafahrzeuge für seinen Dienst Streetview durchs Land schickte, ließen sie reihenweise ihre Häuser verpixeln. Umso erstaunlicher ist es, dass sie anderswo ganz selbstverständlich höchstpersönliche Daten ungeschützt hinterlassen: im Auto. Schon vor vier Jahren sagte Jim Farley, Vorstand des Autoherstellers Ford, bei der Elektronikmesse CES in Las Vegas sichtlich stolz über seine Kunden: „Wir kennen jeden, der das Gesetz bricht. Und wir wissen, wann er es tut.“

Bis zu 200 Sensoren stecken in einem gewöhnlichen Auto. Hinzu kommen etwa 80 kleinere Computer, 1500 Meter Kabel. Für sich genommen sind das bloß Zahlen, die verdeutlichen, wie vernetzt die Fahrzeuge inzwischen sind. Doch all diese Sensoren und Computerchen tun in erster Linie eines: Daten sammeln und auswerten. Das dient vor allem dem Komfort und der Sicherheit. Aber die Autohersteller wissen so eben auch, wer wann wie und wo unterwegs ist – und noch einiges mehr.

Welche Möglichkeiten Autohersteller haben, um ihre Kunden zu beobachten und was dies auch für das Restaurant und die Werkstatt um die Ecke bedeutet, zeigen diese Alltagssituationen.
Auf dem Weg zum Hotel
Ein Auto wird nach der Arbeit nicht an den Wohnort des Besitzers gefahren, stattdessen steigt jemand zu, der zudem häufig anruft. Von dort geht es zu einem Hotel. Das erkennen Multimediaeinheit und Sitzsensoren.
Effekt: Der Hersteller erfährt von der heimlichen Liebschaft noch vor dem Partner des Besitzers.
Auf dem Parkplatz
Wenn vorne regelmäßig beide Eltern sitzen und hinten drei Kinder, erkennt und speichert die Sitzelektronik das beim Einsteigen am Gewicht.
Effekt: Bei gleichmäßiger Gewichtszunahme über Monate erkennt die Software eine Schwangerschaft – und könnte Angebote für größere Autos verschicken.
Mobilfunkmast
Viele Autos haben eine Mobilfunkkarte und senden darüber stündlich mehrere Gigabyte an Daten zum Autohersteller.
Effekt: Fahrstil, Strecken, Werkstattbesuche, Unfälle, Spritverbrauch – die Hersteller horten einen großen Datenschatz. Was sie mit diesen Daten anstellen, darüber geben sie keine Auskunft. 
An der Tankstelle
Was Fahrer nur ab und zu überprüfen – Tankfüllung, Reifendruck, Wischwasser –, messen Autos permanent und senden die Daten alle zwei Minuten an die Hersteller.
Effekt: Der Datenaustausch kann wichtig sein für die Sicherheit. Was die Konzerne noch damit machen, darauf haben Kunden keinen Einfluss.
An der Ladesäule
Während das Elektroauto auflädt, meldet es per Mobilfunk an den Fahrer, wie weit der Ladevorgang ist – aber auch an den Hersteller.
Effekt: Wenn der Fahrer seine monatliche Leasingrate für das Auto noch nicht bezahlt hat, könnte der Hersteller per Fernwartung die Ladefunktion blockieren. Der Fahrer säße fest.
Beim Unfall
Wann ein Auto welche Strecke befährt und was der Fahrer währenddessen tut, überwachen Navigationsgerät und bis zu 200 Sensoren.
Effekt: Die Daten können helfen, den Hergang von Unfällen zu klären. Der Nebeneffekt ist aber eine Dauerüberwachung, die rechtlich fragwürdig ist.
In der Werkstatt
Um ein Auto zügig zu reparieren, wäre es auch für freie Werkstätten hilfreich, wenn sie auf alle gespeicherten Daten zugreifen könnten. Doch die Fahrzeughersteller behalten diese für sich.
Effekt: Der Wettbewerb wird eingeschränkt, weil Werkstätten eines Autoherstellers über mehr Daten verfügen als freie Betriebe.
Vor dem Restaurant
Der Fahrer erwähnt, dass er Hunger hat. Das erkennt der Sprachassistent des Navigationssystems und schlägt ihm ein Restaurant in der Nähe vor.
Effekt: Die Autobauer könnten die Informationen über die Gewohnheiten ihrer Kunden sammeln und verkaufen oder selbst mit Restaurants kooperieren.
Verbraucherschützer stören sich vor allem daran, dass die Autohersteller eine Auskunft darüber, welche Daten die Fahrzeuge so alles sammeln, verweigern. Deshalb gingen dieser Frage im Auftrag des Automobilclubs ADAC kürzlich einige Hacker nach: Sie knöpften sich die Mittelklasse‧wagen BMW 320 D und Mercedes B-Klasse sowie die Elektroautos BMW i3 und Renault Zoe vor. In monatelanger Kleinarbeit gelang es ihnen, nachzuweisen, wie tief die Einblicke der Hersteller in den Alltag ihrer Kunden sind.

Schon jetzt ergibt sich daraus eine so beeindruckende wie bedrohliche Palette der Möglichkeiten. Spätestens wenn die Fahrzeuge autonom fahren, wird es zwingend notwendig sein, die Daten nicht nur zu sammeln, sondern miteinander zu vernetzen. Der ADAC fordert deshalb, dass die Autobauer für jedes Modell angeben, welche Daten sie aufzeichnen; dass die Kunden freien Zugang dazu erhalten, dass die Hersteller einen sicheren Umgang mit den Daten nachweisen müssen – und dass Kunden selbst entscheiden, was gesammelt wird. Rechte, welche die europäische Datenschutz-Grundverordnung Verbrauchern eigentlich garantiert. Doch die Hersteller halten dagegen: Solange sie Fahrdaten und Personendaten getrennt speichern, gelte die Auskunftspflicht, wie sie die Datenschutz-Grundverordnung vorsieht, für sie nicht.
Für Autofahrer gibt es eine neue Dimension der Kontrolle
Volker Lüdemann
Leiter des Niedersächsischen Datenschutzzentrums (NDZ) an der Hochschule Osnabrück
Dass die Konzerne die Daten mitunter aber doch verknüpfen, zeigte sich im Frühjahr: Da wurde ein Kölner Autofahrer zu einer Haftstrafe verurteilt, nachdem er anhand der Aufzeichnungen seines Autos überführt worden war. Diese Daten hatte BMW der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt. „Es ist natürlich gut, dass die Daten dabei helfen konnten, ein Verbrechen aufzuklären“, sagt Volker Lüdemann, Leiter des Niedersächsischen Datenschutzzentrums, „trotzdem bleibt der Zugriff des Staates auf diese Daten aus Sicht des Datenschutzes ein Problem. Es zeigt, dass es für Autofahrer eine neue Dimension der Kontrolle gibt.“

Ein Blick auf den Fahrersitz zeigt: Auch hier werden Daten erhoben, die detaillierte Rückschlüsse zulassen.

Fahrersitz
Der Sohn stellt den Fahrersitz anders ein als seine Mutter oder der Opa. Moderne Autos speichern jede dieser Veränderungen.
Effekt: An den Daten der Sitze und den Fahrdaten ist erkennbar, wie viele Menschen ein Auto nutzen und wie sie sich verhalten. Das könnte für passgenaue Werbung genutzt werden.
Sicherheitsgurt
Schnell in die Kurven, zackige Spurwechsel, gewagte Bremsmanöver – wer so fährt, dessen Sicherheitsgurt wird häufig elektrisch gestrafft. Wie oft, das zählen und speichern viele Autos.
Effekt: Autohersteller könnten die Daten an Versicherungen verkaufen, die ihre Tarife dann ans reale Fahrverhalten anpassen würden.
Multimedia
Wen der Fahrer anruft, wann er welche CDs hört und was er im Internet sucht, erfährt auch der Autohersteller. Aus verbundenen Smartphones sammelt das Auto weitere Daten, etwa Adresslisten.
Effekt: Besitzer stimmen diesen Datentransfers in der Regel beim Kauf zu, nicht aber die Mitfahrer. Das kritisieren Datenschützer.
Airbag
Kommt es zu einem Unfall, speichert das Steuergerät des Airbags das Tempo sowie die Gas- und Bremspedalstellung.
Effekt: Was genau bei einem Unfall passiert ist, wurde bislang über Zeugenaussagen rekonstruiert. Nun könnten Gerichte ihre Entscheidung auch auf der Basis der Daten aus den Airbags treffen.
Motorsteuerung
Mit welchen Drehzahlen fährt das Auto? Hat der Fahrer stärker aufs Gas gedrückt als nötig? Wann müssen die Assistenzsysteme wegen Fahrfehlern eingreifen? Die Motorsteuerung merkt es sich.
Effekt: Hersteller könnten Garantieansprüche infrage stellen, wenn der Fahrer das Auto aus hrer Sicht unsachgemäß nutzt.
Text: Martin Seiwert
Gestaltung & Produktion: Sebastian Feltgen & Marcel Stahn
Illustrationen: Nana Rausch/QuickHoney
Icons: The Noun Project/Marwa Boukarim, WirtschaftsWoche
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17. Oktober 2018
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