Totale Überwachung aus dem All

Konzerne und auch Start-ups planen, in den nächsten Jahren Hunderte neue Erdbeobachtungssatelliten in den Orbit zu schicken. Sie sollen das Geschehen auf unserem Planeten rund um die Uhr fotografieren und filmen – den Zugriff auf unser Leben, unsere Wirtschaft, unsere Umwelt steigern.

von Thomas Stölzel

GESTOCHEN SCHARFE BILDER
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WORLD VIEW LEGION
Die Satellitenbilder der heutigen WorldView-Satelliten liefern schon extrem hochauflösende Fotos. Ein Pixel in der Aufnahme entspricht 31 Zentimetern auf der Erdoberfläche. So lassen sich Baumarten bestimmen oder auch erkennen, wie sich der Boden zusammensetzt. Digital-Globe ist mit einem Marktanteil von 54 Prozent führend bei der kommerziellen Erdbeobachtung. Aktuell arbeitet das Unternehmen an einer neuen Satellitenkonstellation. Fotografieren die WorldView-Trabanten heute Orte auf der Erde maximal zwei Mal am Tag, sollen die neuen WorldView-Legion-Satelliten alle 20 Minuten Aufnahmen liefern. Containerbewegungen in Häfen können dann noch besser überwacht werden. 2020 und 2021 sollen Raketen die 600 Millionen Dollar teure Konstellation ins All befördern.
ÜBERTRAGUNG PER LASERSTRAHL
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PLÉIADES NEO
Eine neue Generation Erdbeobachtungssatelliten des europäischen Luftfahrtkonzerns Airbus wird ihre Daten per Laserstrahl übertragen. Dadurch lassen sich große Datenmengen fast in Echtzeit senden. 2020 und 2021 wird der Konzern die aus vier Satelliten bestehende Konstellation mit dem Namen Pléiades Neo ins All schicken. Die Auflösung soll ähnlich hoch wie beim Konkurrenten DigitalGlobe sein. So will Airbus sich als Nummer zwei unter den Anbietern kommerzieller Satellitenaufnahmen behaupten.
REGELMÄSSIGE BEOBACHTUNG
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DOVE CONSTELLATION
Anders als die meisten Konkurrenten setzt das Unternehmen Planet nicht auf riesige Satelliten mit großer Brennweite, sondern auf Miniatursatelliten, die etwa die Größe eines Schuhkartons haben. Rund 300 etwa fünf Kilogramm leichte Minitrabanten hat das Unternehmen inzwischen im Orbit platziert, etwa die Hälfte ist derzeit aktiv. Ihre Bilder sind weniger scharf – ein Pixel entspricht drei bis fünf Metern auf der Erdoberfläche. Dafür fotografiert die Satellitenarmada eine Stelle am Boden mehrmals täglich. Die Überwachung ist dadurch nicht lückenlos. Wohl aber sehr regelmäßig.
LIVEVIDEO AUS DEM ALL
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EARTH-NOW-KONSTELLATION
Microsoft-Gründer Bill Gates hat in dieses Start-up investiert, auch der Luftfahrtkonzern Airbus. Denn EarthNow hat Großes vor: Das Unternehmen will eine Satellitenkonstellation ins All schicken, die fast in Echtzeit Videoaufnahmen der Erdoberfläche liefert. Und das rund um die Uhr. Eine riesige Flotte von 500 je 220 Kilogramm schweren Sonden will EarthNow dazu in den Orbit schießen. Kosten: eine Milliarde Dollar.
PRÄZISE ZWEI-MINUTEN-CLIPS
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VIVID-I-KONSTELLATION
Das britische Satelliten-Start-up Earth-i hat bereits erste Videos aus dem All auf die Erde gebeamt, von seinem Testsatelliten VividX2. Die Aufnahmen zeigen eine Autobahn in Nashville und den Flughafen in Dubai. 100 Kilogramm wiegt der Trabant, der in 500 Kilometern Höhe die Erde umrundet. Er ist aber nur der Vorbote für die Vivid-i-Konstellation, die aus 15 Satelliten bestehen und nächstes Jahr starten soll. Die werden jeden Ort der Erde zweimal am Tag überfliegen. Ein Pixel ihres Videobildes entspricht 60 Zentimetern auf der Erde. Das ist scharf genug, um Mülltonnen zu erkennen. Die Zwei-Minuten-Clips sind Standbildern überlegen, weil sie Algorithmen mit mehr Daten anlernen können.
GESCHRUMPFTE OPTIK
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SPIDER-SATELLIT
Der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin kennt sich aus mit Erdbeobachtung. Aus seinen Fabriken kamen einst die U2-Spionageflugzeuge, die im Kalten Krieg Russland überwachten, sowie die legendären Keyhole-Satelliten, die NSA und CIA noch heute nutzen. Bisherige Erdbeobachtungssatelliten sind Spiegelteleskope im All, die auf die Erde gerichtet sind. Je größer das Teleskop, desto höher die Auflösung der Aufnahmen. Militärische Trabanten sind deshalb nicht selten so groß wie Busse. Lockheeds neue Spider-Satelliten dagegen bestehen aus unzähligen winzigen Linsen, die direkt über den kleinen, lichtempfindlichen, optischen Sensoren angebracht sind. Die Technik passt auf eine flache Scheibe, die sich billig per 3-D-Druck herstellen und kostengünstig ins All schießen lässt. Damit zielt Lockheed neben dem militärischen auch auf den zivilen Markt.
Nur wenig ist bekannt über die Fracht, die eine Delta-IV-Rakete kürzlich donnernd in den Erdorbit transportierte. An ihrer Spitze prangte der Kopf eines Weißkopfseeadlers. Dessen Augen sind ein Wunder der Natur: Sie funktionieren wie eine Art Tele-Lupe, können Details aus großer Distanz erspähen. Und so lässt sich erahnen, welche Hoffnung der für Weltraumspionage zuständige US-Nachrichtendienst an die Delta-Mission knüpft: eine noch schärfere Überwachung dessen, was auf der Welt passiert. Experten, die den Start beobachtet haben, gehen davon aus, dass sich ein Keyhole-11-Satellit der neuesten Generation an Bord der Rakete befindet. Er ähnelt dem Hubble-Weltraumteleskop, das nach neuen Planeten Ausschau hält. Nur dass Keyhole auf die Erde blickt.

Erdbeobachtung ist eine klassische Domäne von Geheimdiensten und Militärs: Sie spähen Raketenabschussrampen, Atomtestanlagen, Terrorcamps aus. Doch die Dominanz der Spione schwindet. Inzwischen kreisen Hunderte private Erdbeobachtungssatelliten um unseren Planeten. Und in den nächsten Jahren wollen Firmen wie DigitalGlobe, Airbus und Earth-i viele neue Trabanten in den Orbit schicken. Sie können Bilder mit einer noch höheren Auflösung schießen, noch schneller Daten übertragen und rund um die Uhr fotografieren und filmen, was wir tun – unabhängig von den Wetterbedingungen: Dank Radar und Infrarot reicht ihr Adlerauge sogar durch Wolken hindurch.

Die Kameras der ersten Spionagesatelliten in den Sechzigerjahren konnten nur Objekte auf der Erde erkennen, die größer als zehn Meter waren. Filmrollen glitten damals per Fallschirm zu Boden und wurden von Flugzeugen aus der Luft gefischt. Heute werden gestochen scharfe Aufnahmen per Laser oder Funk auf die Erde geschickt. Der US-Internetkonzern Amazon hat zwölf Bodenstationen mit je zwei Antennen rund um den Globus gebaut. Satelliten im Orbit können darüber Daten direkt in Amazons Rechenzentren einspeisen. Die Übertragung findet heute üblicherweise rund eine Stunde zeitverzögert statt; bei Amazon soll es keine Minute sein. So bekommen Unternehmen fast live Aufnahmen aus dem All geliefert – noch dazu deutlich billiger als bisher. Und deshalb versuchen immer mehr Unternehmen, etwa Orbital Insight, Building Radar und SpaceKnow, ins Geschäft mit Satellitendaten einzusteigen. Sie wollen die Erde und das, was täglich auf ihr geschieht, digital erfassen, jedes Auto, jeden Zug, jedes Schiff – wollen die Welt vermessen und berechenbar machen.

Die US-Regierung hat vor fünf Jahren gewissermaßen das Startsignal gegeben. Sie senkte nach jahrelangem Ringen mit einem Satellitenbetreiber die im zivilen Bereich erlaubte Bildauflösung. Ein Pixel auf einem Foto aus dem All darf heute bis zu 25 Zentimeter am Erdboden zeigen; zuvor waren es 50. Neueste Militärsatelliten haben Experteneinschätzungen zufolge eine Auflösung von weniger als zehn Zentimetern.

Mit der erhöhten Auflösung lässt sich viel gewinnen, vor allem für investitionskräftige Konzerne, die sich die teuren Bilddaten leisten können: „Aktuell ist die Satellitentechnik meist noch in den Händen großer Unternehmen und Regierungen“, bestätigt Pavel Machalek, der einst bei der Nasa Daten analysierte und 2013 das Start-up SpaceKnow gründete. Doch das Geschäftsfeld öffnet sich. „Vor vielen Jahren kosteten normale Erdbeobachtungssatelliten eine halbe Milliarde Dollar“, sagt James Crawford, Chef des Satellitenbildanbieters Orbital Insight. Heute seien es oft nur ein paar Millionen.

Und die Möglichkeit von Discountaufnahmen aus dem All beflügelt die Fantasie neuer Dienstleister. Städte und Navigationssoftwareanbieter können in Zukunft Schlaglöcher und Straßenbaustellen aus dem All suchen. Behörden können Häuser ausfindig machen, die ohne Genehmigung gebaut wurden. Manche Start-ups arbeiten daran, Wassertümpel aus dem Orbit zu orten, um frühzeitig Moskito-Brutstätten aufzuspüren. Und in ein paar Jahren könnte die Technologie helfen, Taxis oder selbstfahrende Autos zu Einkaufsstraßen, Theatern oder Flughäfen zu lotsen, sobald sich dort viele Menschen tummeln und möglichst schnell nach Hause wollen. In 10 bis 20 Jahren seien Satellitenbilder keine Technologie für sich, prognostiziert Machalek. Sondern integrierter Bestandteil eines datenbasierten Internets.
AMAZON EMPFÄNGT
SATELLITENSIGNALE
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AMAZON GROUND STATION
Amazon, der größte Onlinehändler und Cloud-Computing-Anbieter der Welt, will zum führenden Bodenstationsbetreiber für Satelliten avancieren. Zwölf Anlagen mit je zwei Antennen hat der Konzern rund um den Globus gebaut. Sonden im Orbit können darüber Daten direkt in Amazons Rechenzentren einspeisen. Die Übertragung findet heute üblicherweise rund eine Stunde zeitverzögert statt; bei Amazon soll es keine Minute sein. So bekommen Unternehmen fast live Aufnahmen aus dem All geliefert – noch dazu deutlich billiger als bisher.
SCHÄDEN VORAUSSAGEN,
EHE SIE EINTRETEN
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LIVE EO
Das Berliner Start-up Live EO, das unter anderem für die Deutsche Bahn und den Stromkonzern E.On arbeitet, überwacht mit Satellitenbildern und intelligenter Software Bahnstrecken, Stromtrassen und Pipelines. Die Software erkennt auf den Aufnahmen automatisch, wo Bäume zu nah an den Gleisen wachsen und beim nächsten Sturm auf die Schienen fallen könnten. Live EO kann sogar die Baumart bestimmen – und weiß also auch über die Wurzeln und die Windanfälligkeit der Gewächse Bescheid.
KUNDEN IM RICHTIGEN
MOMENT ANSPRECHEN
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BUILDING RADAR
Das Münchner Start-up Building Radar hilft Bauunternehmen, Aufträge an Land zu ziehen. Es durchforstet Datenbanken und Amtsblätter nach Bauvorhaben – und überwacht Baufortschritte aus dem All. „Wir sehen, ob schon gegraben wird oder ob Kräne stehen“, sagt Gründer Leopold Neuerburg. Der Aufzugbauer Schindler etwa kauft solche Informationen; er kann auf diese Weise den richtigen Moment abschätzen, um Bauherren oder Architekten anzusprechen und ihnen seine Dienste anzubieten. Auch Hersteller von Büroböden wittern Vorteile: Sie rücken punktgenau an, sobald ein Dach gesetzt ist. Und beim Bau einer Brücke über den Bosporus half Building Radar einem Dehnfugenhersteller, die Teile zur richtigen Zeit anzuliefern. Dadurch fielen weder Lagerkosten noch Strafzahlungen an.
ÖLRESERVEN GENAUER
ABSCHÄTZEN
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ORBITAL INSIGHT
Der wohl berühmteste Ölhändler der Welt, Andy Hall, sitzt nicht zufällig im Beirat des Satellitendatenauswerters Orbital Insight. Das Start-up liefert Tag für Tag eine Inventur der weltweiten Öltankreserven. Viele dieser Tanks haben schwimmende Dächer. Wenn die Satelliten sie täglich zur selben Zeit fotografieren, lässt sich anhand der Schatten im Inneren bestimmen, ob sie voll oder leer sind. So kann Hall prognostizieren, wie stark es sich auswirken wird, wenn die Opec die Fördermenge reduziert. Orbital Insight überwacht außerdem 250.000 Parkplätze von mehr als 90 US-Handelsketten. Analysten an der Börse leiten aus der Anzahl der dort versammelten Autos ab, wie gut die Geschäfte laufen. „Und läuft nur ein einzelner Laden nicht gut, kann ein Handelsriese binnen Minuten benachbarte Konkurrenten analysieren und prüfen, ob die Gegend oder der eigene Shop für den lahmen Umsatz verantwortlich ist“, sagt Orbital-Insight-Gründer Jimi Crawford.
FRÜHWARNSYSTEM FÜR
REZESSIONEN
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SPACEKNOW
Pavel Machalek suchte einst bei der Nasa in Sonnensystemen Planeten. „Objekte auf der Erdoberfläche zu suchen ist gar nicht so viel anders“, sagt er. Heute analysiert sein Startup SpaceKnow für Investmentbanken und Hedgefonds Satellitenfotos. Machalek schuf einen Algorithmus, der anhand der Aufnahmen aus dem All mehr als 6000 Industriestandorte in China im Blick behält und daraus einen Index errechnet, den er an den Wirtschaftsdatendienst Bloomberg verkauft. Auch überwacht er nachts 33 Entwicklungsländer: Nachts sind dort vor allem Industrieanlagen beleuchtet, sodass SpaceKnow aus der Intensität des Lichts die Wirtschaftsleistung kalkulieren kann. Aktuell arbeitet das Unternehmen an einem Algorithmus, der permanent den Planeten überwachen soll: alle Autos, Lastwagen, Schiffe, Jets, Bauprojekte, Wälder, Gewässer. Die Software soll Alarm schlagen, sobald etwas passiert – beispielsweise Wasserknappheit droht.
VOM HIMMEL AUS
BÄUME ZÄHLEN
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DESCARTES LABS
Rund acht Milliarden Bäume stehen in der Bundesrepublik. Alle zehn Jahre zählen Forscher sie im Rahmen der Bundeswaldinventur. 2022 könnte es sich das Bundeslandwirtschaftsministerium einfach machen, denn Descartes Labs aus den USA hat einen Algorithmus entwickelt, der per Satellitenaufnahme Bäume zählt, im Wald und an der Straße. Der Agrarwirtschaft zu helfen ist eine Spezialität von Descartes Labs. So prognostiziert das Unternehmen durch Aufnahmen von Feldern für den Getreideproduktekonzern Cargill, wie gut oder schlecht sich die Ernten und damit die Preise entwickeln werden.
Produktion: Thomas Stölzel; Art Direktion: Patrick Zeh
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Februar 2019
© WirtschaftsWoche 2019
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