Recycling unter Palmen

Plastik fürs Paradies

Deutsche Entsorger verschiffen Kunststoffabfälle nach Asien. Dort vergiften sie Menschen und Umwelt. Deutsche Behörden ignorieren das. Denn der Müll gilt laut deutschen Statistiken als wiederverwertet. Wie ist das möglich? Eine Spurensuche bei Plastikhändlern und Müllmafiosi.

Verloren und gefunden 
Diese Folie fand die WirtschaftsWoche in Massen in einem verlassenen Industriegebiet - neben Zwiebelnetzen von Edeka. Über die Schnittmarken unten versuchte die WirtschaftsWoche, die Hersteller der Folie zu finden.

Das Plastik sackt unter Pua Lay Pengs pinken Ballerinas ein, als sie den Müllberg erklimmt. Die 46-Jährige ist hochgewachsen, sportlich, trotzdem rinnt ihr der Schweiß von der Stirn. Sie bückt sich, greift nach einer Verpackung. „Ist das aus Deutschland?“, fragt sie, und hält eine weiß-blaue Verpackung in die Höhe. „Fein Waschmittel“, darunter das Logo von Edeka. Ein paar Meter weiter liegen Folien von Kochschinken, Milchmäusen, sogar von schwäbischen Maultaschen. Haushaltsmüll.

Pua klettert weiter, über Tüten und Kartons, Folien und Flaschen, alle bereits ausgebleicht von der malaysischen Sonne. Oben auf dem Müllberg hat sie einen guten Blick auf die Fabrik neben der Deponie. Die Wände sind nach außen verbogen, als wären sie aufgeplatzt, wohl von der Hitze. „Nachts verbrennen sie hinter der Halle immer noch“, sagt Peng.

Der beißende Rauch war das Erste, was den Anwohnern in Jenjarom auffiel. Pua ist Chemieingenieurin, für sie war der Geruch ein Alarmzeichen. Mit Rollern und einer Drohne kundschaften die 46-Jährige und ihre Nachbarn die Gegend aus. Sie fanden mehr und mehr solcher Deponien, hinter meterhohen Wellblechwänden oder versteckt zwischen Palmen. 

„Schöne Insel“

Ein paar Kilometer weiter, in Pulau Indah, lagert ein ganzer Fundus deutscher Markenprodukte, in einem Hof mit überwachsenen, schmutzig-feuchten, weißen Wänden: Zwiebelnetze von Edeka neben Obstnetzen der „Reiferei Walter Pott“, das Etikett trägt noch die Adresse in Leverkusen. Dazu Wurstverpackungen von Aldi. Eine Folie der Marke Wolf, „Familienmetzgerei seit 1925“, liegt im Dreck, über 9700 Kilometer vom bayrischen Firmensitz entfernt.

Pulau Indah liegt nur wenige Kilometer entfernt von Port Klang, dem zwölftgrößten Hafen der Welt. Übersetzt heißt der Ort „schöne Insel“. Davon aber ist nicht mehr viel zu sehen. Leere Straßen führen vorbei an verlassenen Gewerbegebieten. Ein perfekter Standort, wenn man etwas loswerden will. Die Gegend ist zu einem bequemen Abladeplatz für Hinterlassenschaften des europäischen Konsums verkommen. Hier entsteht so etwas wie das neue Drehkreuz einer weltweit agierenden Müllmafia.

In Deutschland ist es längst verboten, Müll zu deponieren. Schließlich könne viel Neues daraus entstehen, könnten Abfälle in Rohstoffe verwandelt werden, versprechen Supermarktketten, Recyclingkonzerne und Politiker im Einklang. Der Export von Kunststoffabfällen ist deshalb nur erlaubt, wenn diese auch im Ausland verwertet werden. Ob das tatsächlich geschieht, prüft jedoch niemand. 

Probleme gibt es nicht nur in Malaysia. Auch in Thailand, Indonesien und Vietnam existieren illegale Deponien. Selbst in Polen brannten schon Müllberge. In den statistischen Jahrbüchern der Bundesrepublik aber wird jedes exportierte Gramm Abfall als recycelt vermerkt.

Wie kann das sein?

Die WirtschaftsWoche und das ZDF-Magazin „Frontal 21“ sind der Spur des Mülls gefolgt – von den illegalen malaysischen Müllkippen zurück bis zu deutschen Verpackungsherstellern und den Regalen der großen Supermarktketten. Während die sich dafür feiern, Einweggeschirr aus dem Sortiment zu verbannen und Gurken nicht länger mit Folie zu umhüllen, schildern Aktivisten und Betroffene, Recyclingunternehmer, Ermittler und Politiker ihre Sicht der Geschichte. Und schnell wird klar, warum trotzdem Tausende Tonnen Plastik illegal in Asien landen – und wie leicht sich die Verantwortung dafür verschleiern lässt.
Tarnen und täuschen
HS 3915 lautet das Kürzel, unter dem sich die offiziellen Statistiken für die Probleme in Malaysia finden lassen. Das ist der Zollcode für „Abfälle, Schnitzel und Bruch von Kunststoffen“. Plastikmüll. Vor einem Jahr stoppte China, bisher die Müllkippe der Welt, die Importe aus Europa. Seitdem ist Malaysia erste Wahl für Plastikexporte nach Übersee. Allein zwischen Januar und Oktober vergangenen Jahres verschifften deutsche Unternehmen 114 000 Tonnen Plastikabfälle – ein Plus von 125 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Nur die USA, Großbritannien und Japan schicken noch mehr Müll.
 
Was in Pulau Indah lagert, ist kein Haushaltsmüll. Das zeigt schon die schiere Menge der Zwiebelnetze. Diese Verpackungen sind nie bis in die gelben Tonnen und Säcke der Verbraucher gelangt. Schon die Hersteller müssen sie systematisch entsorgt haben. Einige der Folien sind meterlang und noch mit Schnittmarkierungen versehen. Anhand dieser Codes lässt sich der Ursprung des Mülls nachvollziehen.
125
Prozent mehr Plastikabfall exportierte Deutschland zwischen Januar und Oktober 2018 nach Malaysia
Die WirtschaftsWoche schickt Fotos und teilweise auch Proben an die Hersteller. Die aber antworten, wenn überhaupt, nur schleppend. Die Obstreiferei Walter Pott etwa lässt E-Mails wochenlang unbeantwortet, teilt schließlich telefonisch mit, die Geschäftsführung sei „auf Messe“. 

Edeka erklärt, man könne den Sachverhalt „aktuell nicht konkreter nachvollziehen.“ Man arbeite ausschließlich mit „mit zertifizierten Entsorgungs- und Recyclingbetrieben“. Das gelte auch für den Zwiebellieferanten aus den Niederlanden, und den Produzenten der Gemüsenetze in Italien.

Der Discounter Aldi bestätigt, dass die Folien „noch vor der Verwendung als Verpackungsmaterial“ aussortiert wurden. Der Abfall werde an deutsche Verbrennungsanlagen geliefert. Es sei „leider nicht nachvollziehbar, über welche Wege die Folien nach Malaysia gelangt sein könnten“.
Der Lieferant von Aldi, so viel lässt sich anhand der Verpackungen feststellen, ist die geka Frisch + Frost GmbH. Ein Tochterunternehmen der PHW-Gruppe, die mit Marken wie „Meine Metzgerei“ und „Wiesenhof“ Deutschland mit Billig-Geflügelfleisch versorgt. „Wir können anhand des Foliendesigns erkennen, dass diese nur im süddeutschen Raum eingesetzt wurde“, erklärt PHW, und verweist auf den für dieses Gebiet zuständigen Entsorger, das Familienunternehmen Michael Wolf. Der wiederum liefert solche Abfälle an Verbrennungsanlagen, mit eigenen Lastwagen. Die für ihn zuständige im bayrischen Schwandorf gibt zwar an, dass sie Überkapazitäten an andere Anlagen umleite. Diese befänden sich jedoch „in unserer Nachbarschaft“.

Über eine Woche später meldet sich die Metzgerei Wolf noch einmal, mit einem neuen Hinweis: Auch ein Folienhersteller könnte die Reste aussortiert haben. Ein Name taucht doppelt auf: Der Hersteller Südpack produzierte sowohl für Wolf als auch für die Aldi-Marke „Meine Metzgerei“. Stammt ein Teil des Mülls in Malaysia aus dem baden-württembergischen Ochsenhausen? 

Johannes Remmele, Geschäftsführer von Südpack und IHK-Vizepräsident in seiner Region, trägt gerne auffällige Brillengestelle und grüßt am Telefon mit „Grüß Gott“. Er nennt sich selbst einen typischen „schwäbischen Mittelständler“. Südpack, sagt er, produziere „hochqualitative Verbundwerkstoffe“. Recycelbar seien die nicht. Deshalb müsse Südpack sie verbrennen. Dafür beauftrage er zertifizierte Entsorger. In welchem Land der Müll verwertet werde, ist in den Verträgen jedoch nicht geregelt – obwohl das durchaus möglich wäre. Manche Marken legen gar fest, dass ihre Abfälle in Europa verwertet werden müssen.
Doch die Exporte der Abfälle nach Asien sind lukrativer als das Verheizen hierzulande. Dafür müssen die Entsorger draufzahlen. 150 Euro pro Tonne Gewerbeabfälle verlangt die Verbrennungsanlage in Schwandorf. Je nach Kunststoffart werden sogar bis zu 800 Euro fällig. Am Export hingegen können Entsorger noch verdienen. Der Seetransport nach Asien fällt mit etwa 40 Euro die Tonne kaum ins Gewicht. Laut Exportstatistik waren die nach Malaysia versendeten Plastikabfälle im Schnitt 180 Euro wert. 

Südpack bestreitet, die Abfälle ins Ausland exportiert zu haben. Das Unternehmen prüft die in Malaysia gefundenen Folien und schickt Messkurven an die WirtschaftsWoche. Ergebnis: Sie stammen nicht aus den eigenen Werken. Ein weiterer Zulieferer der Familienmetzgerei Wolf, Rolf Bayer Vacuumverpackungen, analysiert eine Folienprobe ebenfalls. Keine Übereinstimmungen, teilt das Unternehmen mit.

Es ist ein Tarnen und Täuschen. Keiner der Hersteller oder Entsorger will je mit externen Händlern zusammengearbeitet oder Kunststoffabfälle direkt exportiert haben, weder nach Asien noch sonst wohin. Stattdessen zeigen alle der befragten Unternehmen ihre Zertifikate vor – und streiten die Verantwortung ab.
Dennoch liegen auf den illegalen Deponien in Pulau Indah deutsche Abfälle. Und bis zum Schluss bleibt unklar, wer diesen Müll überhaupt produziert hat.

Wohin der deutsche Plastikmüll wandert

In diese Länder exportiert Deutschland die meisten Kunststoffabfälle
Indien
56.630 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland nach Indien.
Damit ist Indien der viertgrößte Abnehmer für deutschen Plastikmüll. Die Exporte stiegen seit dem chinesischen Importstopp um 85 Prozent an.
Hongkong
54.356 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland nach Hong Kong.
Damit ist Hong Kong der sechstgrößte Abnehmer für deutschen Plastikmüll. Dabei sanken die Exporte noch um fast 40 Prozent.
Türkei
42.300 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland in die Türkei.
Damit ist die Türkei der achtgrößte Abnehmer für deutschen Plastikmüll. Seit dem chinesischen Importstopp stiegen die Exporte in die Türkei um über 193 Prozent an.
Frankreich
21.384 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland nach Frankreich.
Damit ist Frankreich der neuntgrößte Abnehmer für deutschen Plastikmüll. In dem Land haben viele große Müllkonzerne ihren Hauptsitz, die auch in Deutschland tätig sind.
Tschechien
37.167 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland in die tschechische Republik.
Damit ist Tschechien der neuntgrößte Abnehmer für deutschen Plastikmüll.
Malaysia
113.880 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland zwischen Januar und Oktober 2018 nach Malaysia.
Damit ist Malaysia der größte Abnehmer der deutschen Abfälle. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Exporte nach Malaysia um 145 gestiegen.
Niederlande
99.260 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland in die Niederlande.
Damit sind die Niederlande das zweitwichtigste Ziel. Das kleine Land hat eine hochleistungsfähige Recyclingindustrie, die freie Kapazitäten in ihren Anlagen auch mit Müll aus Deutschland füllen.
Polen
59.613 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland nach Polen.
Damit ist Polen der drittgrößte Abnehmer für deutschen Plastikmüll. In dem Land gibt es wie in Malaysia Probleme durch die Müllexporte. Immer wieder tauchen illegale Deponien auf.
Indonesien
49.489 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland nach Indonesien.
Damit ist Indonesien der siebtgrößte Abnehmer für deutschen Plastikmüll. Zwischen Januar und Oktober 2018 stiegen die Exporte um sagenhafte 12000 Prozent an.
Vietnam
55.026 Tonnen Kunststoffmüll exportierte Deutschland nach Vietnam.
Damit ist Vietnam der fünftgrößte Abnehmer für deutschen Plastikmüll. Das Land versucht Importbegrenzungen durchzusetzen.
Verbrennen vor verwerten
Einer, der offen zugibt, lange Zeit Plastikabfälle exportiert zu haben, ist Hans-Dieter Wilcken. Er zieht sich eine gelbe Warnweste mit Firmenlogo über, dann schreitet er los zum Rundgang über das Gelände des Entsorgungsbetriebs Nehlsen im Bremer Industriehafen. Im Vergleich zu den illegalen Fabriken in Malaysia wirkt das Gelände, als hätte Netflix’ Aufräum-Guru Marie Kondo persönlich Hand angelegt. Jeder Ballen steht hier an seinem Platz, akkurat gestapelt und beschriftet. Das seien Produktionsreste, Randschnitte oder Fehlchargen, sagt Geschäftsführer Wilcken. 20 000 bis 25 000 Tonnen Kunststoffabfälle habe er pro Jahr.
 
Es sind nur Bruchteile von dem, was deutsche Haushalte und Gewerbe jährlich anhäufen: 5,2 Millionen Tonnen Plastikmüll waren es 2017, so eine Studie im Auftrag aller wichtigen Plastik- und Recyclingverbände. Der größte Teil davon wandert noch immer in die „thermische Verwertung“, der Abfall wird zur Energiegewinnung verbrannt. Nur zwei Millionen Tonnen werden tatsächlich recycelt – über ein Drittel davon im Ausland.
 
Wilcken bleibt vor einem Berg aus blauen, weißen und rötlichen Folien stehen. „Das wäre früher nach Asien gegangen“, sagt er. Etwa 8000 Tonnen verkaufte er jährlich nach China. Dort hatte sich mit den Jahren eine hochleistungsfähige Recyclingindustrie gebildet. In Deutschland sortierten Maschinen den Müll vor, in China Arbeiter per Hand den Rest. Sie griffen nach Material, das den deutschen Sortieranlagen durchging, trennten Folien, auch nach Farben. Deshalb waren die chinesischen Verwerter gar bereit, mehr für den europäischen Müll zu zahlen. Bis zum Importstopp. 
Die Müllberge in ihrer Heimatstadt Jenjarom machen Pua Lay Peng noch immer fassungslos. Seit Monaten rottet Müll aus ganz Europa hier vor sich hin.
Da musste Wilcken plötzlich Alternativen suchen. Anfangs schickte auch er einige Containerladungen nach Malaysia. „Uns wurde dann sehr schnell klar, dass das nicht der Ersatzweg sein kann“, sagt er. „Wenn sie die Diskussion über Plastik in den Meeren verfolgen, können sie nicht mehr guten Gewissens dorthin exportieren.“ Plastikabfall, dessen Aufbereitung sich nicht lohnt, schickt er seither in die Verbrennungsanlage. Nicht die optimale Lösung, sagt er, aber besser, als es zu verschiffen. In Asien mangele es an der Infrastruktur, um Reste fachgerecht zu entsorgen. Und am Bewusstsein der lokalen Politiker. „Ich sag’s ganz offen: Es ist legal, aber wir wollen das nicht.“

Wann Müllhandel erlaubt ist, regelt international das Baseler Übereinkommen. Plastikabfälle gelten weder als giftig noch gefährlich, sie stehen gar auf der „Grünen Liste“. Wer derlei Müll exportieren will, benötigt lediglich ein Formular mit Versandinformationen und einen Entsorgungsvertrag. Wie viel dieser Entsorger tatsächlich verwertet, wird selten überprüft. Und selbst wenn, mit hohen Strafen müssen Kriminelle in Deutschland kaum rechnen. Im Jahr 2017 verhängten deutsche Gerichte eine einzige Haftstrafe wegen illegaler Abfallverbringung. In allen anderen Fällen kassierten die Behörden Bußgelder, insgesamt nicht einmal 30 000 Euro.

In anderen Staaten hat das Thema längst Priorität. Auf Drängen der Chinesen holte die Weltzolloperation im Herbst zu einem großen Schlag gegen die Müllschmuggler aus. 75 Zollbehörden beteiligten sich an der Operation Demeter IV. Sie beschlagnahmten neben Elektromüll und giftigen Schlacken auch 9800 Tonnen Plastikmüll. Allein die Niederlande sicherten 17 Ladungen illegaler Abfälle. Der deutsche Zoll jedoch war an der Operation nicht einmal beteiligt.
Erst langsam wächst auch in der hiesigen Politik das Bewusstsein, dass sich etwas ändern muss. Wenn Müll, der im Ausland einfach abgelagert werde, in die deutschen Recyclingquoten eingehe, sei „schlicht und einfach falsch“, sagt Jochen Flasbarth, Staatsekretär im Umweltministerium. „Das ist ein Missstand, unter Umständen auch kriminell, da muss man dagegen vorgehen.“ Das Umweltministerium wolle die Zusammenarbeit mit anderen Ländern daher ‧genauer überprüfen.

Es ist eine späte Erkenntnis. Denn Abfall war schon immer ein Geschäft, an dem Kriminelle gerne und gut verdienten. In den Achtzigerjahren war Griechenland die Müllkippe Europas. Dann riss die italienische N’Drangheta das Geschäft an sich. In den Neunzigerjahren entdeckten Chinesen den Müll als Rohstoff, auch dort bildeten sich kriminelle Netzwerke. Der Importstopp versaute schließlich das Business. Über 400 Menschen sitzen mittlerweile wegen Müllschmuggels in chinesischen Gefängnissen. Nun sind andere Länder im Fokus: Malaysia etwa. 
Korruption oder Gesetz
Funken sprühen auf, als die malaysische Polizei zum Gegenschlag ansetzt. Mit einer Kreissäge schneidet der Beamte ein Viereck in das Wellblechtor der illegalen Fabrik. Die Einsatzkräfte steigen hindurch, laufen zielstrebig auf die Halle zu. Sie ist mit langen Planen abgehängt, damit man von außen nicht sehen kann, was sich im Inneren befindet: Hunderte von großen, weißen Plastiksäcken stapeln sich schief übereinander, voll mit Produktionsabfällen und Pressresten, Plastik in allen Formen und wenigen Farben. Bis vor wenigen Stunden liefen hier noch die Maschinen. Jetzt ist es menschenleer. 

Die Einsatzkräfte stürmen erst die Büros. Auf dem Schreibtisch stehen noch Dekorationen für das chinesische Neujahrsfest in einem Karton herum. Hinter der Halle finden die Beamten Wohncontainer mit Metallbetten und dünnen Matratzen. Ein Reiskocher steht unter dem Bett, ein Teller mit Essensresten noch im Regal. „Illegale Arbeiter“, sagt einer von ihnen, wahrscheinlich aus Bangladesch oder Indonesien. Auch sie machen das Geschäft so lohnenswert.

Die malaysische Regierung sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, sie bekäme die illegalen Abfälle nicht in den Griff. Insgesamt hundert Razzien hat die neue, junge Umweltministerin deshalb ange‧kündigt. Und sie wolle Deponien endlich räumen lassen. Auch die Müllberge in Jenjarom. 
Nachts verbrennen die Kriminellen noch immer Plastik. Sie wollen so ihre Spuren verwischen, vermuten Anwohner. Der Rauch ist für sie ein Gesundheitsrisiko. Beim Verbrennen von Plastik können giftige Dioxine entstehen.
Auf der Deponie unter Palmen taucht plötzlich ein junger Mann auf. Er trägt Sonnenbrille, Jeans und ein Poloshirt, spricht fließend Englisch, stellt sich als Sohn des Besitzers vor. Seinen Namen will er nicht nennen. Von der Deponie habe er nichts gewusst, sagt er. Sein Vater habe das Land an einen „Eddy“ vermietet, für umgerechnet 100 Euro im Monat. Es habe keinen Vertrag gegeben, nur einen Handschlag. Als die Behörden auftauchten, tauchte Eddy plötzlich ab. 

Die Familie des Mannes muss die Deponie nun auf eigene Kosten räumen, für 65 000 Euro. Sonst kann das Landesministerium ihr den Besitz entziehen. Doch während hier die ersten illegalen Müllkippen verschwinden, berichtet Greenpeace bereits von neuen Halden im Norden. Dabei hatte die Regierung schon im Juli den ‧Import für Plastikmüll eingefroren. Auch Thailand und Vietnam wollen strengere ‧Regeln durchsetzen.

Zumindest teilweise scheinen die Maßnahmen zu wirken. Zwischen Januar und Oktober 2018 exportierten deutsche Entsorger 17 Prozent weniger Plastikabfälle. Seither, heißt es in der Branche, seien die Exporte weiter zurückgegangen – allerdings sind auch die Preise gesunken. 
Wir haben den Schaden doch schon längst.
Pua Lay Peng
Chemikerin
Produzenten wie Johannes Remmele, der in Schwaben die unrecycelbaren Verpackungen herstellt, setzen ihre Hoffnung in neue Technologien. Heute wird, wenn es optimal läuft, Plastikabfall gewaschen, geschreddert und zu Granulaten gepresst. Oder eben – wie bei Südpack – verbrannt. Die BASF forscht am sogenannten chemischen Recycling. Unter großer Hitze, mit Unterdruck und chemischen Katalysatoren wollen die Ludwigshafener die Kohlenwasserstoffketten im Plastik wieder aufspalten. So könnten verschiedene Plastikarten gleichzeitig verwertet werden, selbst Remmeles miteinander verklebte Folien. Am Ende, so die Vision, könnte eine neue Art Öl entstehen. Doch solche Verfahren gelten als unausgereift – und enorm energieintensiv.

Für Pua Lay Peng und ihre Nachbarn in Malaysia kommen derlei Innovationen zu spät. „Wir haben den Schaden doch schon längst“, sagt Pua. Einige ihrer Freunde mussten mit Atemproblemen ins Krankenhaus, Luft und Wasser seien verpestet, sagt die Chemikerin. Eine Mülldeponie fanden die Anwohner gleich neben einer Garnelenfarm. Schon vor über einem Jahr nahm das Fischereiministerium dort Wasserproben. „Es wird befürchtet, dass dieser hohe Gehalt an Schwermetallen die Tierhaltung und die öffentliche Gesundheit negativ beeinflusst“, hielten die Beamten anschließend schriftlich fest. Unternommen wurde bislang dennoch nichts.
 
Die Müllschmuggler werden indes tätig. Pua Lay Peng zeigt eine Nachricht, die sie per Facebook bekommen hat. Der Chat ist ein Mischmasch aus Englisch, Malayisch und Chinesisch, doch die Botschaft ist unmissverständlich: Es gibt ein Kopfgeld von 100 000 Ringgit auf die Aktivisten, das sind mehr als 20 000 Euro.
„Ha ha“, hat sie geantwortet. „Wenn wir nichts unternehmen, sterben wir doch auch.“
Redaktion: Jacqueline Goebel, Henryk Hielscher
Gestaltung: Marcel Stahn
 Fotos: Ahmad Yusni für WirtschaftsWoche, Jacqueline Goebel, Patrick Schuch 
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18. Februar 2019
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